Österreich: Das Ingenieurgesetz 2017 wertet die bisherige Standesbezeichnung „Ingenieur“ zu einer neuen Qualifikation auf.
Auf Grund dieser neuen gesetzlichen Regelung wurden bereits mehr als 10.000 Ingenieur*innen zertifiziert.
Neben der in meinem Blog bereits beschriebenen Möglichkeit für Absolvent*innen bestimmter Meister- und Befähigungsprüfungen möchte ich heute auf die Möglichkeit näher eingehen, die sich dadurch auch für die landwirtschaftlichen Meister*innen eröffnet hat.
Mit dem neuen IngG 2017 können auch alle Absolvent*innen der höhere land- und forstwirtschaftliche Lehranstalten und berufsbildende höhere Schulen mit umweltbezogenem Ausbildungszweig:
1. Höheren Lehranstalten für Landwirtschaft,
2. Höhere Lehranstalt für Wein- und Obstbau,
3. Höhere Lehranstalt für Garten- und Landschaftsgestaltung,
4. Höhere Lehranstalt für Gartenbau,
5. Höhere Lehranstalt für Landtechnik,
6. Höhere Lehranstalt für Forstwirtschaft,
7. Höheren Lehranstalten für Landwirtschaft und Ernährung,
8. Höhere Lehranstalt für Lebensmittel- und Biotechnologie,
9. Höhere Lehranstalt für Umwelt- und Ressourcenmanagement und
10. Sonderformen der in Z 1 bis 9 genannten Lehranstalten
und die Berufsbildende Höhere Schulen (BHS) mit umweltbezogenem Ausbildungszweig, die
- Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe – Fachrichtung Umwelt und Wirtschaft und die
- Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe – Fachrichtung Wasser- und Kommunalwirtschaft
um die Qualifikationsbezeichnung ansuchen.
Somit können auch alle HBLA-Ingenieurinnen und -Ingenieure ihre berufliche Qualifikation in Zukunft adäquat dokumentieren und als hochwertigen Bildungsabschluss mit internationaler Vergleichbarkeit darstellen.
Die bisherigen Ingenieurinnen und Ingenieure behalten die Standesbezeichnung Ing.in beziehungsweise Ing. weiterhin.
Warum ist eine neue Qualifikation notwendig?
Die Ausbildung an HBLAs und die danach absolvierte mindestens dreijährige facheinschlägige Praxis als Voraussetzung für die Verleihung der bisherigen Standesbezeichnung „Ingenieurin beziehungsweise Ingenieur“ stellen eine weltweite Besonderheit dar. In internationalen Vergleichen wurde daher die hohe Kompetenz österreichischer Ingenieurinnen beziehungsweise Ingenieure bisher häufig nicht entsprechend anerkannt und sowohl bei internationalen Ausschreibungen von Projekten als auch Bewerbungen am Arbeitsmarkt nicht gebührend berücksichtigt.
Europäischer und nationaler Qualifikationsrahmen
Die EU hat nun mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) ein Instrument zur Verfügung gestellt, das bessere internationale Vergleichbarkeit auf Basis einer achtstufigen Skala ermöglicht. In Österreich wurde der EQR als Nationaler Qualifikationsrahmen (NQR) im Jahr 2016 umgesetzt.
Welche Wertigkeit hat die neue Qualifikation?
Die nach den neuen gesetzlichen Vorgaben qualifizierten Ingenieurinnen beziehungsweise Ingenieure sind in der Stufe 6 des NQR beantragt. Damit wird die hohe Qualität der ingenieurmäßigen Kompetenz im internationalen Umfeld besser positioniert.
Welcher Titel wird Ihnen verliehen?
Sie sind nach erfolgreicher Qualifikation berechtigt, die Bezeichnung „Ingenieurin“ beziehungsweise „Ingenieur“ oder alternativ die Kurzform „Ing.in“ oder „Ing.“ vor Ihren Namen zu stellen.
Welche Voraussetzungen müssen Sie erfüllen?
- HBLA Reife- und Diplomprüfung
oder einen gleichwertigen in- oder ausländischen Abschluss oder andere inhaltlich vergleichbare Ausbildungen in ingenieurrelevanten Bereichen in Kombination mit einer (allgemeinen) Reifeprüfung - und eine mindestens dreijährige beziehungsweise bei vergleichbaren Ausbildungen mindestens sechsjährige fachbezogene betriebliche Praxis
- Die dreijährige beziehungsweise sechsjährige Praxis muss im Durchschnitt mindestens 20 Wochenstunden umfassen.
- In dieser Praxis müssen Sie Aufgaben erfüllen, die typischerweise von Absolventen der jeweiligen HBLA-Fachrichtung ausgeführt werden und eine Erweiterung und Vertiefung der Grundkompetenzen darstellen.
Qualifikationsverfahren
Wie läuft das Qualifikationsverfahren ab?
Neu ist die Zertifizierung im Rahmen eines Fachgesprächs:
Die Zertifizierung erfolgt in Form eines Fachgesprächs mit zwei Expertinnen oder Experten aus dem jeweiligen Berufsbereich (Zertifizierungskommission) – ein Experte aus der Fachpraxis und einer facheinschlägigen Lehrkraft einer HBLA, Fachhochschule oder Universität. Beim Fachgespräch werden Ihre durch die Praxis erworbenen Kompetenzen erörtert. Es handelt sich dabei um keine Prüfung, sondern um ein kollegiales Fachgespräch. Es werden Ihre Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen mit den Kriterien des Qualifikationsniveaus 6 des NQR abgeglichen.
Bestätigt das Gespräch, dass Sie über die notwendigen Kompetenzen verfügen, stellt das Landwirtschaftsministerium ein Dekret aus, mit dem Ihnen die Qualifikationsbezeichnung „Ingenieurin“ beziehungsweise „Ingenieur“ verliehen wird. Sie können das Fachgespräch einmal wiederholen.
Sollten Ihre Voraussetzungen (noch) nicht ausreichend sein, können Sie für das Zertifizierungsverfahren zu einem späteren Zeitpunkt neu einreichen.
Erfolgreiche Qualifizierung
Wenn Sie folgende inhaltliche Voraussetzungen erfüllen, kann Ihnen die Ingenieurqualifikation verliehen werden:
- Fortgeschrittene Kenntnisse im Arbeitsbereich: vertieftes theoretisches und praktisches Wissen
- Fortgeschrittene Fähigkeiten zur Lösung komplexer und nicht vorhersehbarer Probleme im jeweiligen Arbeitsbereich
- Kompetenz zur Leitung fachlicher Tätigkeiten oder Projekte, Übernahme von Führungsfunktionen in Funktionsbereichen oder (Teil-) Projekten
Antrag:
Bei einer Ausbildung und Praxis im land- und forstwirtschaftlichen oder umweltbezogenen Bereich wäre ein Antrag an das Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus online über die Homepage des Bundesministeriums zu stellen, dem folgende Unterlagen anzuschließen sind:
- Geburtsurkunde oder Staatsbürgerschaftsnachweis oder Reisepass
- bei Namensänderung: Heiratsurkunde oder Namensänderungsbescheid
- Nachweise über die Ausbildung je nach Bildungsabschluss: Reife- und Diplomprüfungszeugnis, AHS-Reifeprüfungszeugnis, Berufsreifeprüfungszeugnis, BHS-Reife- und Diplomprüfungszeugnis, Meisterprüfungszeugnis, Befähigungsprüfungszeugnis etc.
- Bei Berechtigung zur Führung eines akademischen Grades oder der Standesbezeichnung „Ingenieur“ den entsprechenden Nachweis (Sponsionsurkunde,
Promotionsurkunde, Verleihungsurkunde) - Nachweise über die Berufspraxis (insgesamt mindestens drei- bzw. sechsjährig):
- bei unselbstständiger Erwerbstätigkeit (auch bei Mitarbeit auf einem landw.
Betrieb ): Vorlage eines vom Dienstgeber ausgestellten Dienstzeugnisses mit
– dem Zeitraum der Beschäftigung,
– dem exakten Beschäftigungsausmaß während des gesamten Beschäftigungs-zeitraumes (Vollbeschäftigung oder wenn Teilbeschäftigung das genaue Ausmaß in Wochenstunden) und
– einer genauen Beschreibung der Art der ausgeübten Tätigkeiten.
- bei unselbstständiger Erwerbstätigkeit (auch bei Mitarbeit auf einem landw.
- bei selbstständiger Erwerbstätigkeit: Betriebsbeschreibung (landw. Betrieb: Betriebsgröße, Betriebszweige, maschinelle Ausstattung), Gewerbeschein
- Eine eigene Tätigkeitsbeschreibung im Umfang von drei Seiten, anhand von
konkreten Projekten/ Arbeitsaufträgen an denen Sie inhaltlich beteiligt waren (als
unselbstständig Tätige/r) bzw. die Sie in Ihrem Unternehmen durchgeführt haben (als
Selbstständige/r), über den gesamten geltend gemachten Zeitraum. - in allen Fällen: Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung
(erhältlich bei der zuständigen Krankenkasse) für den gesamten Zeitraum in dem
Praxiszeiten geltend gemacht werden. - Männliche Bewerber haben auch die abgeleistete Präsenz- bzw. Zivildienstzeit zu
belegen (Zeitraum wichtig: Entlassungsbescheinigung oder Wehrdienstbuch,
Zivildienstbestätigung; oder: Bescheinigung der Stellungskommission über den
Beschluss „untauglich“). - Die Unterlagen sowie ein amtlicher Lichtbildausweis sind anlässlich des Fachgespräches den Mitgliedern der Zertifizierungskommission im Original vorzulegen.
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Rückfragen zum Thema, weitere Informationen und Anmeldungen – auch zu interessanten Lehrgängen und Regelstudien: vis@viennastudies.com
Prof. Dr. Dr. Martin Stieger
hält eine Professur für Berufsbildung und Wirtschaftspädagogik, lehrt an der Allensbach Hochschule in Konstanz (ist dort auch Rektor), arbeitet für VIS – Vienna International Studies , die Österreichische Plattform für gesundheitsbezogene Berufe (OGB), das IHM Institut für Heath Management sowie als Unternehmensberater und Wirtschaftsmediator in Wels (OÖ), ist als sachverständige Person der NKS-Koordinierungsstelle für den NQR in Österreich gelistet und ist Mitglied der Wissenschaftskommission im Bundesministerium für Landesverteidigung sowie im Präsidium des Zentrums für Risiko- und Krisenmanagement, Wien
Ingenieur nach Meisterprüfung:
Landwirtschaftsmeister – Bachelor gleichwertig! Ing. gleichwertig!