In den letzten Jahren hat sich im Bereich wissenschaftlicher Arbeit zu Krankheit und Gesundheit ein Paradigmenwechsel vom vornehmlich medizinischen zum psychosozialen Modell vollzogen. Dieses Umdenken hat zur Entwicklung des Lebenspflegekonzeptes und einem veränderten Gesundheitsverständnis geführt. Gesundheitsförderung wird neu verstanden und stärker gewichtet. Die nationalen und internationalen Empfehlungen dazu haben im Kern gemeinsam:
- dass Gesundheit ganzheitlich, also mit ihrer körperlichen, psychischen und sozialen Komponente gesehen wird;
- dass die einzelnen Elemente von Prävention und Protektion in einer starken Interdependenz zueinander stehen und daher nicht einzeln die gewünschte Wirksamkeit entfalten können;
- dass Gesundheitsförderung in das gesamte soziale, ökologische und infrastrukturelle Umweltgeschehen eingebettet sein muss;
- dass effektive Gesundheitsförderung Selbstbestimmung, Emanzipation und Persönlichkeitsentfaltung des Individuums voraussetzt bzw. fördern muss.
Zahlreiche empirische Studien ergeben, dass Gesundheit, Krankheit und Krankheitsbewältigung durch ein komplexes Zusammenwirken von physischen, psychischen und sozialen Faktoren bestimmt werden. Gesundheit bzw. Krankheit wird als Prozess verstanden, der durch menschliches Verhalten und die ihn umgebenden Lebensverhältnisse beeinflusst wird. Demnach muss man gesundheitsbezogenes Verhalten in seiner lebensgeschichtlichen Entstehung sehen und gesundheitsschützende Lebensverhältnisse mit einer aufeinander abgestimmten Verhaltens- und Verhältnisprävention fördern.
Eine Lösung aktueller Gesundheits- und Krankheitsfragen kann auf Dauer nur gelingen, wenn die Vielzahl der heute bekannten Determinanten von Gesundheit berücksichtigt wird. Der pathogenetische Ansatz „Was macht Menschen krank?“ muss ergänzt werden durch den salutogenetischen Ansatz „Was hält Menschen gesund?“
Die Entwicklung zu einer Wissensgesellschaft im 21. Jahrhundert hat begonnen und sie beschleunigt sich. Schneller Zugriff auf Fakten und international bereitgestelltes Wissen kennzeichnen die Zukunft. Um dieses Wissen relevant abzurufen, aufzubereiten, zu selektieren und für eine Umsetzung brauchbar zu machen, benötigen wir eine Gesellschaft von wissbegierigen und lernbegierigen Menschen. Selbständigkeit und selbstorganisiertes Lernen sind für die zukünftigen Generationen von großer Bedeutung.
Besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Informationsbeschaffung werden gebraucht. Ausgeprägte Qualifikationen menschlicher Art, Persönlichkeitsentwicklung im weitesten Sinne, sind vonnöten, um den Wissenstransfer in die Praxis zu gewährleisten.
Die Forschungsergebnisse insbesondere zur Salutogenese, die veränderte Bevölkerungsstruktur, die zunehmende Mobilität der Gesellschaft, ein verändertes Krankheitsspektrum, zunehmende soziale Unterschiede, Orientierungslosigkeit und Zukunftsängste, all dies sind Herausforderungen, mit denen sich die Gesundheitsförderungspolitik intensiv befassen muss.
Gesundheitswissen bedeutet die umfassende Kenntnis der natürlichen physiologischen und psychosomatischen Prozesse und Rhythmen sowie der Möglichkeiten ihrer positiven Beeinflussung und potentiellen Gefährdung.
Gesundheitswissen ist Wissen um die gesunde Persönlichkeitsentwicklung, um seelische Gesundheit und Wohlbefinden, um Möglichkeiten ihrer Förderung und Beeinträchtigung. Es ist Wissen um psychosomatische Prozesse und um die Komplexität der sozialen und gesellschaftlichen Einflüsse auf individuelles Gesundheitshandeln. Von besonderer Bedeutung sind Kenntnisse über sozialgruppenspezifische Erziehungs- und Sozialisationsprozesse und Verhaltensnormen sowie Belastungen und Bewältigungsformen, die es erschweren, gesundheitsgefährdendes Verhalten trotz besseren Wissens aufzugeben.
Die Entwicklung einer gesundheitsförderlichen Lebensweise setzt ausreichende Kenntnisse zu den Bereichen Ernährung, Bewegung, Entspannung, Stress- und Konfliktbewältigung, Abhängigkeit und Sucht, Sexualität, Hygiene, Kenntnisse zur Vorbeugung von Unfällen und Krankheiten, zur Selbstbehandlung banaler Krankheiten sowie zu den verschiedenen professionellen Angeboten der Vorbeugung, Beratung und Therapie voraus. In all diesen Themenfeldern müssen sowohl medizinisch-biologische (z.B. ernährungsphysiologische), verhaltenswissenschaftliche (z.B. ernährungspsychologische) sowie sozialwissenschaftliche Kenntnisse erworben werden.
Gesundheit und gesundheitsbewusstes Handeln werden wesentlich von psychischen und sozialen Faktoren bestimmt. Weitreichende Kommunikationskompetenzen, die Fähigkeit, auf andere Menschen zugehen, Hilfe mobilisieren und annehmen zu können, die eigenen Bedürfnisse artikulieren und Belastungen problembezogen bewältigen zu können, sind zentrale gesundheitsbezogene Handlungskompetenzen.
Gesundheitsbezogene Handlungsweisen umfassen zum einen Handlungsweisen, die direkt und spezifisch auf die Erhaltung und Steigerung der eigenen Gesundheit und auf die Vermeidung von Krankheit und Verletzung abzielen, zum anderen unspezifischere, die auf die gesundheitsfördernde Gestaltung der Lebensbedingungen und auf die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen gerichtet sind.
Für die Entwicklung gesundheitsförderlicher Lebensweisen und die Beibehaltung gesundheitsrelevanten Handelns im Alltag oder auch für die gesundheitsgerechte Verhaltensänderung ist es von sehr großer Bedeutung, dass ein Mensch davon überzeugt ist, kompetent genug zu sein, um selbstwirksam handeln zu können (Selbstwirksamkeit, Kompetenzerwartung). Erst wenn ein Mensch sich wirklich in der Lage sieht, ein bestimmtes gesundheitsförderliches Verhalten im Alltag umsetzen zu können, wird er die Absicht entwickeln, einen bestimmten Schritt zur gesünderen Lebensweise zu tun.
Die wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Fragen führt zu einem Ergebnis, welches die Erkenntnisse aus vielen Wissenschaftsdisziplinen wie z.B. der der Soziologie, Psychologie und Medizin berücksichtigt.
Diese Disziplinen sind zum Teil durch die unterschiedlichen Berufsprofile der Absolventen und die entsprechenden Ausbildungsprogramme geformt und zum Teil durch die Integrationskraft der theoretischen Grundlagen und Methoden eines. Beides trägt traditionell zur professionellen Identität des Wissenschaftlers und Akademikers und der institutionellen Integrität seines Faches bei. Jedoch die damit verbundenen Tendenzen zur Abgrenzung werden den gegenwärtigen Problemen von Wissenschaft und Gesellschaft nicht mehr gerecht.
Das Leitbild der „Salutogenese und Interdisziplinarität“ zielt darauf, die Leistungsfähigkeit der wissenschaftlichen Disziplinen für die Bearbeitung des komplexen Problemfeldes , – was hält einen Menschen gesund? – über die Grenzen der Disziplinen hinaus zu steigern. Die Idee der Interdisziplinarität richtet sich nicht gegen die einzelnen Disziplinen, sondern nutzt die Spannung zwischen theorieorientierter Grundlagenforschung und probleminduzierter Anwendungsorientierung. Die Probleme mögen dabei stärker inner- oder außerwissenschaftlichen Kontexten entspringen. Interdisziplinäre Kommunikation ist weder ein Qualitätsmerkmal der Wissenschaft noch eine Methode der Forschung, sie sucht vielmehr neue Zugänge zur Erfassung und Beschreibung von Problemen und nutzt dabei die unterschiedlichen Sichtweisen und Wissensbestände der Disziplinen.
In den Erwartungen an akademische Berufsqualifikation spielen immer stärker Fähigkeiten eine Rolle, die nicht allein auf disziplinärem Wissen, sondern auf interdisziplinärer Kommunikation, Team-Arbeit, Management komplexer Aufgaben, und Fähigkeit zur Expertise beruhen.
Durch Einrichtung von interdisziplinär angelegten Studiengängen und Zusatzqualifikationen sowie die Beteiligung von Studierenden an interdisziplinären Forschungsbereichen und Projekten können diese Qualifikationen erworben werden. Zunehmend richten Studierende ihr Studium eigenständig interdisziplinär aus.
Aufgabe des Aaron Antonovsky Institut für Salutogenese (AAIS), Wels, ist es, über Angebote und Möglichkeiten zu informieren, die es bereits auf dem Aus- und Weiterbildungsmarkt gibt, aber auch eigene Lehrgänge zu entwickeln und zu fördern.
Das AAIS wird daher Angebote an Fort- und Weiterbildung machen, um dem Bedarf von Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung nach ständiger Fortbildung und Zusatzausbildung gewachsen zu sein. Die Nachfrage wird sich dabei nicht nur auf die neuesten Ergebnisse der Forschung, sondern auch auf die neuen Beiträge zur Problemanalyse, zur systematischen Erfassung komplexer Zusammenhänge im Bereich Salutogenese und zur Evaluation von Erfahrungen richten.