„Politik als Beruf“ – ein Klassiker der Politikwissenschaft – wurde als Vortrag von Max Weber vor mehr als 100 Jahren (28. Jänner 1919) in München gehalten und ist zeitloser und gültiger denn je.
In Österreich geht es ja ganz ordentlich zu.
Die Arbeitsministerin musste wegen plagiierter Arbeiten zurück treten, der Finanzminister wird von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft als Beschuldigter geführt, die Wirtschaftsministerin muss das Projekt „Kaufhaus Österreich“ verantworten, der Innenminister steht unter Druck weil seine Staatsschützer den Terroranschlag in Wien trotz verdichteter Hinweise nicht vereiteln konnten, die Verordnungen aus dem Gesundheitsminister halten oft der Überprüfung durch Höchstgerichte nicht Stand, Landes- und Kommunalpolitiker, auch Magistratsdirektoren, drängen sich bei den Impfungen vor, während viele über 90-Jährige noch nicht einmal ihren Impftermin wissen, der Unmut darüber wird in teilweise verbotenen Demonstrationen bis zur Gewalt gegen Polizisten aufgeschaukelt …..
Sie, geneigte Leser und Leserinnen, könnten diese Liste noch um viele Punkte erweitern.
Uns allen ist der Unmut über politisches Versagen und gleichzeitig der eigenen Hilflosigkeit diesen Umständen gegenüber anzumerken.
Die Covid-bedingten Einschränkungen nagen zudem an unserer Psyche und verstärkt unsere Fassungslosigkeit.
Ich will diese Unzufriedenheit nicht noch weiter verstärken, in unsere Diskussion sogar ein Argument einbringen, um dem offensichtlichen Versagen der Verantwortlichen in vielen Fällen doch ein gewisses Verständnis gegenüber zu haben.
Die Jesuiten – sehr versierte Denker – bereiten sich auf Diskussionen auch dadurch vor, dass sie sich in die Rolle des Gegenüber versetzen, also quasi „die Schuhe des anderen anziehen“ um die Welt mit dessen Augen zu sehen und die Rolle die er oder sie zu spielen, zu leben, zu verantworten hat, besser zu verstehen.
Ich mache das auch und überlege mir gelegentlich, was hätte ich als Gesundheitsminister, als Innenminister, als Wirtschaftsministerin in genau dieser Situation, mit dem Wissensstand von damals und in dieser Verantwortung getan?
Hätte ich es besser gemacht?
Natürlich!
Wirklich?
Kritisieren ist leichter als tun.
Ich will damit die Kritik an unseren Politikern nicht abtun, in vielen Fällen ist sie so notwendig wie richtig.
Aber bevor wir an den Stammtischen oder – Corona-bedingt fallen diese ja leider bis auf weiteres aus – in den sozialen Medien so richtig loslegen, gönnen wir uns zuvor die Zeit und ziehen wir uns die Schuhe jener an, die wir kritisieren wollen – hätten wir es wirklich um so viel besser gekonnt oder gemacht?
Dazu auch wieder der ganz großartige Max Weber:
„Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“
(Politik als Beruf. München und Leipzig: Duncker & Humblot, 1919. S. 66)
auch (gekürzt) als Kommentar in der Zeitung für Wels – Die Monatliche – Ausgabe 60 erschienen:
Foto:https://cdn.britannica.com/49/39749-050-E773E614/Max-Weber-1918.jpg
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Prof. Dr. Dr. Martin Stieger
hält eine Professur für Berufsbildung und Wirtschaftspädagogik, ist Rektor der Allensbach Hochschule in Konstanz und arbeitet für VIS – Vienna International Studies https://viennastudies.com/ sowie als Unternehmensberater und Wirtschaftsmediator in Wels (OÖ).
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